Unternehmen inszenieren ihre Historien als Heldenreisen, schmücken Geschäftsberichte mit berührenden Anwender-Geschichten und lassen Influencer mit persönlichen Erfahrungsberichten werben. Auf der anderen Seite erscheinen Pressemitteilungen als faktenbasierte Unternehmensnachrichten. Soweit jedenfalls die übliche Sichtweise. Doch  in der Pressearbeit werden die Stimmen immer lauter, die nach „mehr Storytelling“ rufen. Die neue Kunstform der PR, so heißt es. Doch das hat seine Grenzen.

Storytelling ist nichts anderes als Geschichtenerzählen. Ein Verfahren, das inzwischen im Marketing längst üblich ist. Ziel ist, die Aufmerksamkeit der Kunden zu gewinnen und zu halten, um Inhalte zu transportieren. Dies soll sich auch die PR beim Vertrieb der Pressemitteilungen zunutze machen. Es gibt Parallelen, aber auch Unterschiede.

„Gute Geschichten“ in Marketing und Pressearbeit
Die Medienlandschaft hat sich gewandelt. Um sich im immer härter werdenden Wettbewerb erfolgreich positionieren zu können, müssen Journalisten „gute Geschichten“ machen. Die können PR-Verantwortliche ihnen liefern. Wenn sie gut sind, werden sie genommen.
Gut erzählte Geschichten sind spannend und unterhaltsam. Sie werden gern gelesen, es wird gern zugehört oder zugeschaut. Geschichtenerzählen funktioniert. Seit Jahrhunderten erzählen Menschen Märchen, um Erfahrungen und Werte zu übermitteln. Das funktioniert besonders gut mit lebehaften, emotionalen Bildern und anhand eines ganz bestimmten Aufbaus.

Elemente des Storytellings
Dazu braucht es einem Helden als Identifikationsfigur, einem Problem, die Lösung des Problems, die Wandlung des Helden und eine Botschaft, die damit verbunden ist. Daraus machen Marketingexperten die „Core-Story“. Auf diese Kerngeschichte, sollen dann weitere folgen. Erzählt wird anhand eines Spannungsbogens. Auf diese Weise wird Aufmerksamkeit meist gut geschaffen, gehalten und die Botschaft erinnert.

Warum ist das so? Unser Gehirn versucht bei Lernprozessen immer auf Bestehendes zurückzugreifen, es versucht Verbindungen herzustellen und das Neue mit altem Wissen zu verknüpfen. Im Gegensatz zu beispielsweise trockenen Datenblättern mit Fakten und Produktspezifikationen aktivieren lebhafte Erzählungen zahlreiche Hirnregionen zugleich. Sie lösen nicht nur das „Verstehen“ aus, sondern ebenso Emotionen wie Trauer, Wut oder Glück, wecken Erinnerungen über alle Sinneseindrücke hinweg. Spiegelneuronen werden aktiv, wenn etwas verstanden, nachgeahmt und miterlebt wird. Dies erklärt, weshalb Inhalte aus Geschichten meistens leichter erinnert werden als trockene Fakten. Meist, aber nicht immer.

Aufbau von Pressemeldungen
Journalisten möchten informativ schreiben, diesen Anspruch müssen auch Pressemeldungen erfüllen. Darum orientiert sich der Aufbau nach den sieben W-Fragen. Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Woher? Diese Fragen sollte ein guter journalistischer Text beantworten. Die Struktur folgt dem Prinzip: Das Wichtigste zuerst. Daran orientieren sich auch Pressemeldungen.

Um unterhaltsame „Geschichten“ zu liefern, hält der Journalismus diverse Möglichkeiten bereit. Die journalistischen Darstellungsformen liefern neben informierenden Formen wie Nachricht und Bericht auch erzählende und unterhaltende Formen bereit Dazu gehören beispielsweise Reportage, Feature oder Portrait. Daran können sich Pressemeldungen durchaus orientieren. Sie müssen nicht trocken und langweilig sein.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Um aus der Kerngeschichte ein Corporate Storytelling zu machen, soll das Marketing immer weitere Geschichten finden, die daran anknüpfen und ebendiese Botschaft transportieren. Bei fiktiven Geschichten ist das wohl denkbar einfach. Doch Pressemeldungen müssen anderen Ansprüchen genügen. Sie erfolgen meist aus einem aktuellen Anlass und müssen wahr und nachprüfbar und darum auf Fakten aufgebaut sein. Diese müssen allerdings möglichst so verpackt werden, dass sie gern gelesen werden.

Grenzen des Storytellings
Eine Pressemeldung kann sich thematisch durchaus an einer vom Marketing definierten Core-Story orientieren, sofern diese vorhanden ist. Doch das sollte nicht oberstes Gebot sein. Sie muss allerdings gleichzeitig den journalistischen Vorgaben entsprechen. Diese Kombination ist jedoch nicht immer optimal. Auch beim Leser kommt das Storytelling an seine Grenzen, wenn er zwischen Rezeption und Handlung die Vernunft geschaltet ist.

Die Rolle des Nachrichtenwerts
Eine Pressemeldung muss den Filter der Journalisten passieren. Sie entscheiden, ob das Thema „interessant“ ist oder nicht. Dies tun sie anhand von bestimmten Nachrichtenfaktoren wie Aktualität, Relevanz, Originalität, Nähe, Valenz oder Identifikation. Danach bemessen sie den Wert, den eine Meldung für ihre Leser haben kann. Diese Faktoren kann Storytelling bedienen.

Die Rolle der Fakten
Spätestens in wirtschaftlich schwierigen Situationen oder sogar einer Krise ist stößt das Storytelling-Prinzip an seine Grenzen. Journalisten wollen Fakten sehen. Ein „Held“ und seine „Läuterung“ anhand eines Spannungsbogens erzählt, kann erklärend hinzugefügt, womöglich Verständnis wecken und das Schlimmste abfedern. Doch das alleine wird kaum geeignet sein, Journalisten zu überzeugen. Sie wollen Tatsachen sehen. Auch bei wirtschaftlichen Erfolgen und Expansionen stehen die Fakten im Mittelpunkt.

Wenn das Unternehmen Mitarbeiter entlässt oder Versäumnisse eingestehen muss, kann der Verantwortlich mit einer guten Story Sympathien und vielleicht sogar Vertrauen gewinnen. Doch nur mit Fakten lassen sich ungerechtfertigte Vorwürfe außer Kraft setzen und kommt die Diskussion voran.

Die Rolle von Komplexität und Fachwissen
Es gibt Themen, auf die wir keine einfachen Antworten geben können. Auch nicht, wenn wir versuchen, die Aufmerksamkeit durch einen quirligen, sympathischen Helden zu erhalten. Dann stehen sind andere Elemente zur thematischen Aufarbeitung gefragt.

Wenn tiefgreifendes Fachwissen vonnöten ist, um einen Sachverhalt nachvollziehen zu können, kann man einen „Experten“ auf eine „Heldenreise“ schicken und hoffen, dass dessen „Erkenntnisse“ vorbehaltlos hingenommen werden. Jedoch sind es Erklärungen die echtes Verstehen bewirken und Vergleiche, die es erleichtern. Bei komplexen Themenlagen ist eine gute Struktur hilfreicher als ein Spannungsbogen, bestenfalls unterstützt durch gute Grafikern.

Der Leser soll nicht der „Heldenreise“ folgen, sondern die Sachlage verstehen. Wer sie versteht, wird sich durch Fakten überzeugen lassen, Argumenten eher zustimmen und sich lange daran erinnern.

Die Rolle der Ratio
Manche Menschen mögen eine Reise machen, weil „Tim“ und „Tine“ dort so tolle Geschichten erlebt haben. Emotionen zeigen in vielen Situationen ihre Wirkung. Doch wenn es um Ausbildung, Jobwechsel oder große Anschaffungen geht, werden Fakten rational gegeneinander abgewogen. Nicht Emotionen, sondern Erkenntnis entscheidet über die Handlung. Storytelling transportiert auch einige Fakten, das aber eher unterschwellig. Wenn der Kunde Vorteile unterschiedlicher Leistungen oder Produkte abwägen möchte, sucht er eine klare Gegenüberstellung, keine spannenden Geschichten.

Da, wo Storytelling hinterfragt und als Beeinflussungstaktik erkannt wird, wirkt sie nicht mehr. Dies gilt nicht nur für Konsumenten. Insbesondere Journalisten durchleuchten die ihnen angebotenen Themen kritisch.

Fazit
Der Gedanke des Storytellings sollte für die Presseverantwortlichen ein Anspruch sein, ihre Texte unterhaltsamer und verständlicher zu machen. Dies allerdings nicht auf Kosten relevanter und korrekter Information. Dabei können die über mehr als hundert Jahre hinweg entwickelten journalistischen Darstellungsformen eine mindestens ebenso gute Orientierung bieten. Denn auch Journalismus soll und will nicht trocken und langweilig sein. Vor allem aber müssen journalistischer Entscheidungsmuster berücksichtigt werden. Vor ihnen tritt das Storytelling zurück.

Storytelling Pressemeldung
Fiktiv oder real Wahr und nachprüfbar
Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft Vergangenheit oder Planung
Auslöser Marketingziel Meist aktuelles Geschehen oder Anlass
Heldengeschichte W-Fragen
Spannungsbogen Das Wichtigste zuerst
Freie Erzählung Journalistische Darstellungsformen
Orientierung am Interesse der Zielgruppe Orientierung am Nachrichtenwert
Anspruch der Unterhaltung Anspruch des Informierens
Anspruch der leichten Lesbarkeit  Anspruch des leichten Verstehens
Stellt eine Person in den Mittelpunkt Kann personalisieren, muss aber nicht
Emotionale Bindung Rationale Prozesse
Unterstützt Unternehmensziele Unterstützt Unternehmensziele

Das REDAKTIONSBÜRO susanne schulten ist Mitglied in der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) und arbeitet entsprechend dem Kodex des Deutschen Rats für Public Relations (DRPR).

Kodex des DRPR

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