Immer schneller hat sich die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen von Massenmedien und etablierten Gatekeepern zu digitalen Plattformen und Influencern verlagert. Doch die Influencer-Economy ist inzwischen nahezu gesättigt, Marken erkämpfen sich ihn offenbar zunehmend zurück. Fluch oder Segen? Wie können oder sollten Unternehmen ihn ausüben?

Influencer wurden aus einer digitalen Demokratisierung der Medienlandschaft geboren, zuerst mit Bloggern und zuletzt mit Social-Media-Influencern. Jeder mit einem Smartphone und einer Meinung kann ein Influencer sein. Ging es bei Unternehmen in vor-digitalen Zeiten, um Beeinflussung der Kaufentscheidung, so nutzen heute viele Marken ihren Einfluss zunehmend im Sinne des Gemeinwohls.

Ukraine-Krieg löst eine Welle aus

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, meldeten sich blitzschnell zahlreiche Unternehmen zu Wort, bezogen Stellung, zeigten Haltung, mischten sich nicht nur in wirtschaftliche, sondern auch in politische Prozesse ein.

Umfragen belegen: Verbraucher begrüßen es, wenn Marken Haltung zeigen und ihren Einfluss nutzen, um Druck auszuüben, Missstände zu beseitigen. Neu ist das nicht. Doch durch Pandemie, zunehmende Diskussionen um Inklusion und Diversität sowie die Klimakrise hat das Thema Purpose zunehmend an Fahrt aufgenommen.

Dies kann für das Unternehmen Imagegewinn und wirtschaftlichen Erfolg bedeuten, kann aber auch schiefgehen. Das eigene Firmenlogo ist schnell mit ein paar Klicks gelb-blau eingefärbt, ein paar Worte über den Wert der Freiheit sind schnell geschrieben – aber wem nutzt das? Diese Frage stellt sich auch der Verbraucher – und stellt fest: manchmal in erster Linie dem Unternehmen.

Handeln ist besser als reden

Mit dem übereilten Lippenbekenntnis „Freiheit ist ein Lebensmittel“ zusammen mit der Ukrainischen Flagge und dem eigenen blau-gelten Logo erntete EDEKA überwiegend Kritik. Schöne Worte alleine werden schnell als Marketing entlarvt. Und schnell wird deutlich: Auf der Welle des Krieges zu „reiten“ ist unethisch.

Währenddessen überschlugen sich geradezu die Ereignisse: Supermärkte entfernten russische Produkte aus den Regalen. VW, Ikea, H&M und viele mehr stellten den Export von Waren nach Russland ein, schlossen dort ihre Produktionsstätten und Verkaufsstellen.

Meta mit Facebook und Instagram, kündigte schnell an, Anzeigen von russischen Staatsmedien zu verbieten und ein Netzwerk von 40 gefälschten Konten, Seiten und Gruppen zu entfernen, die pro-russische Positionen vertreten. YouTube hat die Kanäle der russischen Staatssender RT und Sputnik Russia 24, TASS und RIA Novosti. europaweit gesperrt und blockierte russische Werbung. Twitter gab an russische Staatsmedien daran zu hindern, in dem sozialen Netzwerk weltweit Anzeigen zu schalten.

TikTok hingegen, dessen Mutterfirma Bytedance in China residiert, sah sich gezwungen, zwischen den Stühlen zu tanzen. Während die Nutzer eifrig  Informationen zum Krieg teilen, schwiegt die Plattform und ließ sogar die massenweise Verbreitung von Fake-Videos zu.

Weltweite Solidarität

Hacker attackierten unter anderem russische Fernsehsender. Google zeigte keine Staus mehr in der Ukraine, um die Menschen vor Angriffen zu schützen, die an den Checkpoints an den Grenzen auf Ausreise warten. Und US-Milliardär Elon Musk hat seinen Satelliteninternetdienst Starlink für die Ukraine freigeschaltet.

Schalke 04 trennt sich von Ganzprom und selbst der russische Oligarch Roman Oligarch Abramowitsch – „Kassenwart“ Putins und wegen seiner Nähe zur russischen Regierung im Fokus der Aufmerksamkeit – gibt an, seinen Verein FC Chelsea verkaufen zu wollen und den Erlös soll Opfern des Ukraine-Kriegs zugutekommen zu lassen. Vieles ist Fassade, vieles dient nicht nur dem vorgegebenen Zweck.

Abgrenzung ja, aber bitte keine Diskriminierung

Seit Beginn des Krieges sorgt das Symbol “Z” im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine für Wirbel. Das Zeichen, das auf Militärfahrzeugen der russischen Streitkräfte zu sehen ist, wurde zum Symbol der Unterstützung der Angreifer. Um sein Image vor Auswirkungen negativer Kriegspropaganda zu schützen, hat der Versicherer Zurich reagiert und sein Logo überall dort entfernt, wo nur der prägnante Anfangsbuchstabe zu sehen ist. Auch Unternehmen wie HP mit einem Workstations „Z by HP“ wären betroffen.

Ob nun eine Bäckerei die richtige Form der Solidaritätsbekundung zeigt, indem sie Russischen Zupfkuchen umbenennt, muss infrage gestellt werden. Handlungen, die die russische Kultur oder russischstämmige Menschen diskriminieren sind sicherlich fehl am Platz.

Dennoch: Es muss nicht immer eine große Wirkung sein. Kleine Unternehmen leisten kleine Beiträge, große Unternehmen große. Taten zählen mehr als Worte, auch wenn das Handeln oft nur Symbolcharakter hat. Die empathische Ansprache ist entscheidend und die richtige Einbettung der Aktion in den Kontext.

Das hat auch EDEKA erkannt und zog eine Woche später nach und machte klar: „Wir wollen helfen. Und das sofort und unbürokratisch.” So habe man etwa 360 Tonnen an benötigten Hilfsmittel auf den Weg nach Polen an die ukrainische Grenze gebracht und Geld gespendet. Das traf den richtigen Ton.

Wer nichts tut, macht doch was falsch

Immer mehr Unternehmen zogen nach. Der Handlungsdruck stieg kontinuierlich. Nicht nur TikTok, auch Unternehmen wie Nestlé, die weiterhin mit Russland Geschäfte machen, standen zunehmend unter Kritik.

Klar wurde auch: Das gesamte Marketing muss in einer solchen Situation überdacht werden. Gute-Laune Beiträge fühlen sich für eine unter Schock stehende Gesellschaft „falsch“ an. Bestenfalls erreichen sie wenig Wirkung, schlimmsten schlägt dem Unternehmen böse Kritik entgegen. Besser die eigene Kommunikation etwas zurückfahren.

Empathisch, menschlich, nah

Als Meister der empathischen bürgernahen, Kommunikation hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gezeigt. Auch er zeigt Haltung, tritt für seine Überzeugung ein, dass die Ukraine ein freies, unabhängiges und demokratisches Land ist. Er meistert sogar die schwierigste Stufe der Kommunikation in einer solchen Stunde Humor zu zeigen. Als die USA ihm anbieten, das Land mit ihrer Hilfe zu verlassen, lehnt er ab. „Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, ich brauche Munition.“ Der zuvor stark unter Kritik stehende Präsident wächst in der Krise dank seiner Kenntnisse über Medienwirkung und nicht zuletzt Indution über sich hinaus.

Das klingt schwierig? Dann hilft ein Hinweis, der leider etwas zynisch klingt: In der ersten Krisenzeit ist Zurückhaltung das Gebot. Doch nach dem anfänglichen Schock wird die Betroffenheit nachlassen – leider. Studien zeigen, dass Menschen sich nach sechs Wochen an die Situation gewöhnt haben. Wer denn immer noch Gutes tut und angemessen darüber redet, gerät dann nicht mehr so schnell in den Verdacht, unethisches Marketing zu machen.

Weniger Marketing, mehr Zurückhaltung

Ein Beispiel aus meinem Kundenkreis: Die Wintersport-Arena Sauerland hat im Sinne des Marketings umgekehrt gemacht. Der Werbe-Etat wurde stark zurückgeschraubt und der Betrag gespendet. Die Erklärung für diese Maßnahme in Verbindung mit dem Hinweis, wo alle wichtigen Infos zu finden sind und dem Aufruf an die Gäste, sich an einer lokalen Spendenaktion zu beteiligen kam gut an. Auf das typische Pressefoto mit Scheckübergabe wurde verzichtet.

Der Ukraine-Krieg ist lange nicht das erste Ereignis, das Unternehmen bewegt, Solidarität zu zeigen und aktiv zu werden. Die Frage, wie weit sich Unternehmen in politische Belange einmischen sollten und wie, bewegt Kommunikationsverantwortliche schon lange. Unternehmen haben zur Beteiligung bei Wahlen aufgerufen oder sich gegen rechte Parteien eingesetzt. Auch Anlässe wie Black Lives Matter oder die Klimademonstrationen waren Anlässe, bei denen sie sich mehr oder weniger laut und auf unterschiedlicher Weise zu Wort gemeldet haben.

Eigene Werte reflektieren

Zurück zum Ausgang: Sind Marken die neuen (alten) Influencer? Können Marken die Welt verbessern? Können sie das entstandene Gatekeeper-Vakuum ein Stück weit auffangen? Sollen sie es überhaupt? Gut aufgestellt sind Unternehmen, die ihre eigenen Werte reflektiert haben und sie gut begründen können. Diejenigen, die sie „leben“, sie nach innen und nach außen glaubwürdig und authentisch vertreten. Diejenigen werden sicher vieles richtig machen. Auch wenn das nicht immer jedem gefällt.

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